Sebastian
Exposé
KAPITEL 2
Die Mühlen der Insel fliegen nicht mehr. Wie in
früheren Zeiten, als sie noch flogen, so haben sie
jetzt, da sie tot sind, die Gabe der Erinnerung.
(Santiago Rusiñol, Mallorca, Die Insel der Ruhe)
Sebastian Casal saß auf der Veranda und blickte über die Ebene.
Eine kühle Brise wehte von der hügeligen Landschaft an den Ausläufern
des Gebirgszuges herüber und bewegte die Blätter der Mandelbäume.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Gebirges vermutete
er das Meer, das gegen die steil abfallenden Klippen schlug.
Zwischendurch fiel er immer wieder in einen von wirren Bildern
begleiteten Halbschlaf. Die Tage waren zeitlos.
Auf den Inseln der Ruhe fällt jeder auf, der sich bewegt!, dachte
er und sah die Windmühle im Tal mit ihren maroden, wurmstichigen
Rahen, die unbeweglich im Wind standen.
Morgens, wenn Ella ihm das Frühstück brachte, freute er sich
über den offenen Himmel. Nur selten dachte er an sein Büro, seine
Arbeit, seine Mitarbeiter, die seit Tagen nichts mehr von ihm gehört
hatten. Sorgen machte er sich keine. In der Unbestimmtheit
seines Dahinlebens blieb alles in einer Ferne, die er nicht herbei
denken konnte. Er befand sich in einem Zustand aus Stillstand und
Genügsamkeit. Einer Art Vorgeschichte, eigenen Gesetzen und
einer eigenen Rhythmik unterliegend. Er folgte den Tönen, ohne
den Anspruch zu haben, verwertbare Koordinaten aus ihnen lesen
zu können. Er hatte sich vom hellen Bewusstsein verabschiedet,
bewegte sich auf der Schwelle zwischen Wachsein und Traum.
Exposé
„Sebastian Casals Hang zur Objektivität verbot es, die Lage, in der er sich wiederfand, als minutiös vorbereitet, als ein einzig und allein für ihn inszeniertes Spektakel anzusehen. Er überlegte, wie die Situation zustande kommen konnte; welcher Zufälle es bedurfte, dass er nun vor dem Sarkophag einer Mumie stand, von einer Trauergemeinde beobachtet, die ihn zu kennen glaubte, zu der er wissentlich bisher keinerlei Kontakt gehabt hatte.“
Sebastian Casal, ein erfolgreicher Finanzexperte und Wirtschaftsprüfer, nimmt kurzfristig einen nicht näher bestimmten Auftrag auf einer Insel an.
Bereits kurz nach seiner Ankunft gerät er in ein undurchsichtiges Geflecht aus Zufällen und Eigenartigkeiten. Mehrmals versucht er sich den schicksalhaften Ereignissen zu entziehen.
Aber die Umstände haben ihn längst in ihren höllischen Bann gezogen.