08.06.2020

Zu einem Bild von Bonaventura Genelli

In einem Brief an Erwin Rohde vom 16. Juli 1872 beruft sich Nietzsche – auch um die Originalität seiner Apollo-Dionysos Symbolik zu betonen - auf ein Bild von Bonaventura Genelli (1798-1868) Dionysos (Bacchus) unter den Musen, das er in dem Tribschener Landhaus von Richard Wagner sah.
Der in einem in der Mittelachse des rechteckigen, arabeskenhaft umrahmten Ausschnitts sitzende nackte Bacchus, deutet mit prosaischer Geste in Richtung seines tanzenden, weinseligen Erziehers Silen, umgeben von dem beflügelten Komos, stellvertretend für die göttliche Gefolgschaft und dem stets knabenhaft wirkende Amor (hier den Tambour schlagend). Die Blicke der Musen folgen fast ausnahmslos - teils interessiert, teils gelangweilt - der durch den ausgestreckten Arm von Bacchus vorgegebenen Richtung. Die Windgottheit Zephyr ruht, wie der Tiger im Vordergrund, wohl eher ermüdet ob der Monotonie der dargestellten Szenerie. Er ist wenig angetan von dem peinlich wirkenden Tanz, der vom „Rausch“ Beseelten.
Bis ins Detail sind selbst die Zwickel, der als Fresko konzipierten Arbeit durchdacht Sie bilden den Vorhang einer Bühne, deren Bretter kein Platz für schauspielerische Expression, geschweige denn Inspiration und Improvisation bieten.
In der idyllisch, in sich geschlossenen Harmonie, die weniger durch die Bewegung als vielmehr durch durchdachte Konzeption zu überzeugen versucht, wirkt die Kehrseite, der von Schiller und Goethe propagierten Weimarer Klassik*.
Genellis Langsamkeit bei der Produktion des Gemäldes – sie führte im Fall Genelli zum Prozess mit dem Auftraggeber – liegt lähmend über der Szenerie.
Der fertigen bildnerischen Darstellung geht ein sich lang hinziehender Prozess von Konzeptionieren voraus.
Inventio, der Begriff aus der Rhetorik begreift das frühe Stadium der Programmierung als Brainstorming, das nach und nach zur Ordnung aller gesammelten Gedanken führt. Bei Genelli wird das Resultat der inventio in der Zeichnung als rudimentärer Entwurf vorgegeben, den die Reinzeichnung zur endgültigen Ausführung bringt. Die Spontaneität der unmittelbaren Eingebung und der impulsiven Darstellung wird ersetzt durch eine gefilterte und geordnete Vorgabe, die es gilt, technisch auf höchstem handwerklichem Niveau zu verwirklichen. Vorstellung und technische Ausführung sind zwei getrennt ablaufende Vorgänge, ähnlich der Arbeit des Architekten, der erst nach der Ausführung des Planes, mit der sichtbaren und greifbaren Realisierung des Projektes beginnt. Das Fehlen der direkten Konfrontation im kreativen Prozess mit der Idee und den technischen Möglichkeiten erkennt man auch in Gellinis Dionysos(Bacchus)-Darstellung. Die Bewegung ist erstickt in einer angeordneten Darstellung, die der Vorstellung eines Ideals verpflichtet bleibt, die vorrangig in der klassischen Antike gefunden wird und von hier aus ihre Elemente – das Kopien ganzer Elemente aus antiken Reliefs und Skulpturen brachte Genelli unter Zeitgenossen den Namen des virtuosen Genies im Stehlen ein – in die Gegenwart kopiert. Johann Joachim Winckelmanns Maxime von „edler Größe und stiller Einfalt“ lässt keine ausschweifenden Träume zu, es sei denn, man fühlt sich bereits in der Nacktheit einer tanzenden Figur zu verführerischen Träumen angeregt! Der Versuch durch die unterschiedliche Disposition der Musen – sie gleichen hier eher einer Horde von neugierigen Waschfrauen, denn eingebenden Musen - die Symmetrie des Bildes zu brechen, wirkt umso hilfloser, trägt er doch nicht zu einer Dynamik der Szenerie bei. Er lässt im Gegenteil die einzelnen Elemente wie von Künstlerhand sorgsam platziert wirken.

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*Die von Goethe und dem Maler Meyer (1760-1832) initiierten Weimarer Preisaufgabe bewegten sich im Rahmen der in der Weimarer Klassik bestimmenden Tugenden, die vornehmlich die Malerei und die bildenden Künste zur Einfachheit und Orientierung an griechischen Vorbildern anhielten. Der Bezug zur Gegenwart ergibt sich durch die bei allem von Schiller angestrebte ästhetische Erziehung des Menschen, der so an mögliche Veränderungen gesellschaftlicher Natur herangeführt werden kann.

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