11.05.2020

Selbstdisziplinierung

In dem Prozess der Zivilisation sieht Norbert Elias den Nachweis eines Wandels der Affekt- und Kontrollstrukturen von Menschen, der richtungsweisend eine zunehmende Straffung und Differenzierung der Kontrollen bedingt, die Umwandlung von Außenzwängen in Innenzwänge bewirkt. Die Zivilisation ist ein fortschreitender Prozess, der eine Vielfalt von Konsequenzen individueller und gesellschaftlicher Natur mit sich bringt. Innerhalb gesellschaftlicher Strukturen begreift das Individuum sich als Mensch, der sich durch die Einbringung seiner Selbstkontrolle, den Auflagen unterwirft, die das Leben ermöglichen und planvolles Handeln in der Gemeinschaft erlauben.
Die Form und Intensität der Selbst-Disziplinierung verlaufen in Relation zu den wechselnden gesellschaftlichen Strukturen. Fremd- und Selbstzwang werden zu Verhaltensrichtlinien der Zivilisationskulturen, wobei der hieraus resultierende Zivilisationsbegriff vor allem auf den sich verändernden zwischenmenschlichen Kontakten, geprägt von ökonomischen und sozialen Strukturen, aufbaut. Handlungen bringen Konsequenzen mit sich, sich außerhalb der gesetzten Erwartungen zu verhalten, bedingt Sanktionen. Der soziale Abstieg lauert überall: Im spannungsgeladenen Alltag dominiert im Schlepptau der Zwänge die Angst. Angst vor dem Leben, dem Nichtkontrollierbaren. Angst vor der Angst. Der Zwangscharakter menschlichen Verhaltens reduziert sich zusehends auf den sisyphotischen Versuch Risiken einzudämmen - ein Angst potenzierendes Unterfangen. Selbst die Begriffsprägung Risikogesellschaft (Volker Beck), die These, dass die Strukturen einer globalisierten Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, die Suche nach vermarktbaren Technologien, eine zunehmenden Bereitschaft zu Risiken beinhaltet, entkommt nicht der Angstfalle, die dort zuschnappt, wo Unsicherheit das Differenzierungspotential des Individuums schwinden lässt. Das Gefühl von Ohnmacht lässt die global gesteuerte und die bis ins Detail geregelte Gesellschaftsordnung als alternativlos erscheinen, steht diese doch für ein Nibelungenschicksal, das durch die Autorität der Normen und Gesetze nicht verhindert werden kann, deshalb aber geordnet ablaufen soll. Geregelte Insolvenz!
Jeder Rest von Phantasie fristet ein erbärmliches Dasein in dem von der Ausnahmesituation gespannten Rahmen. Die Staatsraison, versehen mit den Sterbesakramenten, als Orientierungsmuster hat alle Hände damit zu tun, Richtlinien zu entwickeln, die kommende Katastrophe hinauszuzögern. Dort wo Entscheidungen anstehen, tagen Gremien, das Für und Wider wägen Kommissionen im Namen der Vernunft ab: Die Zukunft, die längst eingetroffen, bedarf einer sorgfältigen Planung. Das Individuum gewinnt wieder an Bedeutung: Es ist zählbar, jederzeit lokalisierbar, durchleuchtet und berechenbar.

„Die postmodernen Politikformen sind Verwaltungsstrategien, Krieg und Polizeieinsätze“, wobei „letztere […] nicht das Ziel [haben], dem Gegner die Legitimation zu entziehen, sondern ihn dazu zu zwingen, den Regeln entsprechend über seine Integration in das System zu verhandeln.“ (Jean-Francois Lyotard (1993), Postmoderne Moralitäten, Der Terror ist in uns)

 

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