Nostalgischer Nachruf

Die Prognosen sind dramatisch, zerstörerisch, das Bild des ‚bodenleeren Menschen‘ apokalyptisch. Der Engel ist Abtrünniger, der unverbesserlich, mit immer raffinierteren Geschäftsmethoden die verbotene Frucht, die keinen Namen mehr hat, anbietet.
Gefangen in der eigenen Geschichte verbinden sich Wünsche, Vorstellungen und Hoffnungen mit der Gewissheit von Macht- und Ratlosigkeit: Das Vergangene unterliegt der Gesetzmäßigkeit des Ephemeren, ihm haftet Tod und Untergang an, die Zukunft verrät ihre Absichten durch den Pakt mit Chaos und Ungewissheit. Dazwischen vermodert der Alltag in Litaneien und Lamentos. Die verbleibenden Annehmlichkeiten verkümmern in immer gleichen Tagträumen: die Muße als letztes Entgelt der gezeichneten Menschheit!
Seltsam, aber aufschlussreich dieser nostalgische Nachruf auf die Zeit der mechanisch geregelten Abläufe. Jetzt, da Elemente der „Enträumlichung“ greifbar werden, gefriert der Geforderte. Ist die Zeit, die gewillt ist, ihn aus ihren Fängen zu entlassen, ihm fremd, die Geschichte, die ihn bedrängt, nicht seine eigene?
Der Umworbene wird nicht aus der Zeit gestoßen, er stiehlt sich aus ihr heraus. Zu anstrengend die Vorstellung, die Vertraute, mit der er seinen Tages- und Lebensrhythmus teilt, verfügte über bislang ungeahnte Wesenszüge. Mit jeder neuen Erkenntnis potenzieren sich die Herausforderungen. Mag der Engel als Bote des Himmels reizvoll sein, das Angebot seine eigenen ‚Fähigkeiten‘ zu teilen, bleibt unmoralisch. Zu schwer lasten die Fehler der Vergangenheit auf dem Augenblick, zu sehr überzeugt die Hoffnungslosigkeit der sisyphosischen Handlungsspielräume, als dass der Augenblick nicht nur als Punkt auf einer der „Kausalketten der Meridiane“ angesiedelt werde, aber auch als zu einer „sinnvollen Verbindung“ jenseits der Kette fähig.

(Guelf, Fernand, Fesseln der Zeit, Wien, Passagenverlag 2011)