Die Frau im Supermarkt (Charles Bukowski)
Frau im Supermarkt.
(Zu einem Gedicht von Charles Bukowski)
Am Ausgang des zwanzigsten Jahrhunderts stößt Charles Bukowski morgens um halb zehn – außerhalb der rush hour – in einem kalifornischen Supermarkt Ecke Käseabteilung / Saure Gurken mit seinem Einkaufswagen auf den einer Frau. Er macht kehrt, flaniert durch die „Abteilung Obst und Gemüse“, findet „günstige Navel-Orangen für 60 Cent das Pfund“, einen Kohlkopf und Zwiebeln. Weiter in „östlicher Richtung“ trifft er erneut auf die Frau mit dem Caddy, diesmal vor dem Regal mit Bran Flakes und den Wheaties.
Ihr Rock endete knapp acht
Zentimeter über dem Knie und saß
sehr eng, dazu trug sie eine durch-
sichtige Bluse und einen äußerst
knappen BH. Sie hatte schlanke
Waden und an den Füssen braune Schuhe
mit flachen Absätzen. […]
(Charles Bukowski, Frau im Supermarkt)
Bukowskis flüchtige, zufällige Begegnung birgt nichts Geheimnisvolles. Die Welt, begrenzt auf Wege zwischen Regalen eines Supermarkts, liegt nicht nur ein Jahrhundert entfernt vom Paris am Ausgang des neunzehnten Jahrhunderts und Baudelaires magischer Begegnung mit der schönen, trauernden Fremden, die vorübergeht. Haftet Baudelaires Begegnung bereits am Eingang der Reiz des Fremden, Geheimnisvollen an, hält Bukowski einen Geruch von „Kirschblüten und französischem Parfum“ fest. Er analysiert zweifelsfrei: „Sie war 36 und unzufrieden mit ihrer Ehe.“ Ebenso über jeden Zweifel erhaben, die überteuerten Preise in der Fleischabteilung. Dennoch findet er „Spencer Steaks (2 Tage alt)“ und ein herabgesetztes Stirloin. Bei den Eiern trifft er die Fremde erneut, stellt fest, dass ihre „glitzernden braunen Augen“, die „an ein erschrecktes Reh“ erinnern, nun „unglücklicher denn je“ wirken. Zwei weitere Kontakte folgen, diesmal – aus der Sicht Bukowskis – intensiver und fordernd:
Ich schob mich mit gesenktem Kopf
vorbei, und sie brachte es fertig
mich zu streifen. […]
[…] und als ich an der Kasse stand, spürte ich
ein Bein, das sich in ganzer Länge, von
Knöchel bis Hüfte, an meines drückte.
(Charles Bukowski, Frau im Supermarkt)
Die Begegnungsstätte zwischen Frischfleisch und Tiefkühlkost ist Teil der zweiten Natur, die dem Charme des vom Menschen geschaffenen Umfeldes – fremd, phantasmagorisch anregend, zerstörerisch und magisch zugleich – nichts mehr abgewinnen kann. Das Unbekannte und Anregende spiegelt sich in der Monotonie eines stupiden Alltags in Endzeitstimmung. Der Lebenskampf ist keine alltägliche Auseinandersetzung mit den Widrigkeiten der Natur, sondern ein Sich-Arrangieren mit dem eigenen Dahinvegetieren – die Wiederholung eines stupiden Alltags zwischen Einkaufstüten und Gefrierschrank. Das Überleben auf Raten begnügt sich mit dem anspruchslosen Erfassen der Gegenwart; der Tod auf Kredit (Louis-Ferdinand Céline) widersagt dem anspruchsvollen Diskurs.
Ich nahm meine Einkaufstüten, ging raus
Auf den Parkplatz, stieg ins Auto, drehte
Den Zündschlüssel, setzte rückwärts
Raus. Als ich in Richtung Süden lenkte
Stand sie vor mir, mit starrem Blick
Und einem Lächeln. Mir soff der
Motor ab.
Ich sah ihr zu, wie sie in ihren Wagen
Stieg und dabei den Rock energisch
Hochzog – ein Blick auf pralle
Schenkel, ein Aufblitzen von
pinkfarbenem Slip.
Ich machte, dass ich weg
kam.
Zuhause stellte ich die Tüten
auf dem Küchentisch ab
packte alles aus
und räumte es
weg.
(Charles Bukowski, Frau im Supermarkt)
(Auszug aus: Guelf, Fernand, ... dichterisch wohnet der Mensch, Passagen Verlag Wien 2012, S. 155ff.
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