Der Gesang der Sirenen II
Welcher Art ist der Abgrund, in den man sich zu stürzen gewillt ist?
(zu: Giuseppe Tomasi die Lampedusa, Die Sirene.)
Senator Rosario La Ciura, Professor für griechische Literatur, verbrachte als Student seine Ferien abgeschieden in einem kleinen Haus am Meer. In Verbundenheit mit der Natur wurden die Bücher, die er beim leichten Schaukeln seines Bootes in Einklang mit den Wellen las, zum Schlüssel zu einer Welt, deren zauberischer Anblick einer der zauberhaftesten war. Eines frühen Morgens – er saß deklamierend im Boot – tauchte aus dem Meer „das Gesicht einer Sechzehnjährigen“, lächelte, wobei „die bleichen Lippen leicht geöffnet“ waren. Hervorblitzten „kleine Zähne […], spitzig und weiß wie Hundezähne“. Das Gesicht drückte „nichts als sich selbst aus, eine nahezu tierhafte Freude am Dasein, eine nahezu göttliche Fröhlichkeit“. Der Leib des Mädchens war unterhalb der Gesäßmuskeln der eines Fisches, bekleidet „mit winzig kleinen, perlmutterfarben und blau schimmernden Schuppen“ und „ihre Stimme war etwas kehlig, verschleiert, von zahllosen Harmonien tönend; in ihrem Untergrund spürte man die Brandungen des sommerlichen Meeres, wenn sie am Felsen aufprallten, das Rauschen der letzten Schaumkronen auf dem Strand, das Wehen der Winde über die im Vollmond glänzenden Wogen.“
Es war die Stimme und der Gesang einer Sirene: „Nimm mich. Ich bin Ligäa, die Tochter der Kalliope. […] wir töten niemanden, wir schenken nur Liebe.“
Die sich entwickelnde innige Beziehung zwischen dem Jüngling und der Sirene ist das Aufgehen in der Ursprünglichkeit der Elemente – „schon tropfte sie mir in den Mund jene Wollust, die euern irdischen Küssen gleicht wie Wein dem faden Wasser“.
Ligäa war von einer starken Unmittelbarkeit, wie er sie nur bei wenigen großen Dichtern wiedergefunden habe, schreibt Giuseppe Tomasi di Lampedusa in seiner Erzählung.
„Ich bin alles, weil ich fließendes Leben bin, und nichts als das; ich bin unsterblich, weil aller Tod in mich einmündet, von dem des Stockfisches […] bis zu dem von Zeus; in mir vereinigt werden sie wieder zu Leben, das nicht mehr persönlich und begrenzt ist, sondern leidenschaftlich und deshalb frei.“
Auf einer letzten Seereise folgt der alte Professor dem Ruf der „Unsterblichen“.
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